Der Olympiafackellauf 1972
Hans Helmberger, langjähriger Vorsitzender des Historischen Vereins und ehemaliger Sportjournalist berichtete im Dezember 2022 in einem detaillierten Vortrag von der Geschichte der Etappe des Olympiafackellaufs, welche 1972 durch den Chiemgau führte. Die aufwändige Organisation im Vorfeld und während des Laufs, die Begeisterung der Menschen vor Ort und die beteiligten Akteure rückte Hans Helmberger, der selbst als Begleitläufer an dem Fackellauf teilgenommen hatte, in den Fokus seiner Betrachtungen. Bei dem Vortragsabend im Hofbräustüberl zu Traunstein waren auch einige der einstigen Fackelträgerinnen und -träger dabei, die sich gerne noch einmal in das Jahr 1972 versetzen ließen.
Der Geschichte, die Hans Helmberger zum Besten gab, kann man im Jahrbuch des Historischen Vereins 2022 nachlesen.
OLYMPIA-FACKELLAUF 1972
von Freilassing bis Rottau am 23./24. August 1972
von Hans Helmberger
Vortrag am 16.12.2022 im Hofbräustüberl Traunstein
Beitrag im Jahrbusch des Historischen Vereins
zusammengefasst von Gudrun Perchermeier
Die Idee, im antiken griechischen Olympia ein Feuer zu entzünden und es mithilfe einer Fackel zum Austragungsort der in der Neuzeit wiederbelebten olympischen Spiele zu transportieren, entstand im Jahr 1936. Angeregt durch einen Archäologen, setzte Karl Diem, der damalige Generalsekretär des Organisationskomitees für die Spiele in Berlin, diesen Plan um; diese Tradition setzt sich bis heute fort.
Als 1966 München nach spannenden Verhandlungen den Zuschlag für die Olympischen Spiele 1972 erhielt, traten die Landkreise Traunstein und Berchtesgaden als Bühne dieses sportlichen Großereignisses in Erscheinung: Im Auftrag des deutschen Organisationskomitees erarbeitete der Bayerische Landessportverband (BLSV) zusammen mit der Regierung von Oberbayern den Streckenplan für den Fackellauf in Südost-Bayern.
Am 28. Juli im heiligen Hain von Olympia entzündet, legte das olympische Feuer bis München 5 532 km zurück, getragen von 6 200 Fackelträgern. Es erreichte über Athen, Istanbul, Bukarest, Belgrad, Budapest, Wien und Salzburg bei Freilassing bayerischen Boden, reiste über Piding, Bad Reichenhall, Bischofswiesen, Berchtesgaden, Inzell, Neukirchen, Oberteisendorf nach Traunstein, von da aus über Siegsdorf, Ruhpolding, Reit im Winkl, Ober- und Unterwössen, Marquartstein, Grassau nach Rottau, wo es an die Läufer aus dem BLSV-Kreis Rosenheim übergeben wurde.
Die Strecke sollte „der ganzen Welt, die diesen Lauf verfolgt, die ganze Schönheit unserer Heimat“ zeigen, so äußerte sich Hans Dierl, der Vorsitzende des BLSV-Kreises VI, dem die damaligen Landkreise Traunstein, Laufen und Berchtesgaden sowie die kreisfreien Städte Traunstein und Bad Reichenhall angehörten; ihm fiel die riesige Organisationsarbeit zu.
Auf den 192 km trugen 176 Läufer/innen und zwei Radfahrer die Fackel, sie wurden von bis zu sechs Begleitläufern flankiert; jede Etappe umfasste 1000 m, bei den Radlern etwas mehr. Die Akteure rekrutierten sich aus den Sportvereinen der Region, die Zahl der Fackelträger entsprach jeweils der Größe des Vereins. So stellten z.B. der TSV Trostberg, TuS Traunreut, TV Traunstein, TSV Berchtesgaden, TSV Bad Reichenhall je sechs Läufer, der WSV Reit im Winkl und der ESV Traunstein je vier Läufer; ausgewählt wurden verdiente Sportler/innen. Diese durften ihre Fackel sowie ihr Trikot mit dem Olympia-Emblem als Erinnerung behalten und erhielten eine Urkunde. Ein 650 m langer Begleitkonvoi aus Polizei, Presse, Organisatoren, ADAC und Arzt eskortierte die Fackelträger.
Zwei Jahre lang dauerte die Vorbereitung dieser „Schau[...], die allen unvergesslich bleiben wird“, so Hans Dierl als leitender Organisator, der später die Ehrenmedaille der Stadt Traunstein erhielt.
Neben der Durchführung des Laufs ging es um die wirksame Präsentation in der Öffentlichkeit: Fünf Busse transportierten Ehrengäste und Presse, fünf Feierstunden mit Auftritten von Lokal- und Landespolitikern betonten die Bedeutung des Ereignisses, Zehntausende von Schaulustigen waren auf den Beinen.
Die Sicherheit gewährleistete die Landespolizei, die während der gesamten Spiele einer Urlaubssperre unterlag; die gasbetriebenen Fackeln überwachte der TÜV; ein Probelauf am 3. Juni brachte letzte organisatorische Erkenntnisse.
Auch die Finanzierung musste geklärt werden: Städte und Gemeinden leisteten Unterstützung, eifrig und erfolgreich warb man um Spenden. Die Firma Magirus-Deutz stellte großzügig die Begleitbusse samt Fahrer zur Verfügung. Sogar die Läufer trugen mit einer Startgebühr von 10 DM ihr Scherflein bei.
Am 23. August 1972 um 15.25 Uhr war es dann so weit:
Die 18-jährige Traunsteiner Leichtathletin und Skirennläuferin Renate Dierl vom TV Traunstein empfing an der Grenze bei Freilassing das heilige Feuer vom österreichischen Ringermeister Barthl Brötzner; damit schaffte sie es, Aufmacher auf der Titelseite des Traunsteiner Wochenblattes zu werden. Ca. 20 000 Zuschauer verfolgten das Geschehen – eine ungeheure Menge.
Nach Feierstunden in Bad Reichenhall und Berchtesgaden konnten die Läufer und Zuschauer in der hereinbrechenden Dunkelheit leider wenig von der herrlichen Alpenlandschaft erkennen; eher waren sie von „finsteren Felswänden“ umgeben, wie der Referent Hans Helmberger, damals selbst als Begleitläufer mit dabei, eindrücklich schilderte.
Bei der Auffahrt zum Wachterl kam der 15-jährige Nachwuchs-Radrennfahrer Robert Glaßl vom RSV Traunstein zum Einsatz: Als die Fackel wiederholt aus ihrer Halterung am Lenkrad kippte, nahm er sie kurzentschlossen in die Hand und meisterte die Steigung einhändig lenkend – eine Riesenanstrengung!
Um 22.20 Uhr übergab Hubert Hirschbichler vom DEC Frillensee im Inzeller Eisstadion das olympische Feuer an die Skifahrerin Gitti Zeller vom SC Inzell. Die Feier mit Freudenfeuer und Feuerwerk verfolgten ca. 7 000 Zuschauer. Inzell hatte damals gerade als Eisschnelllauf-Dorf Berühmtheit erlangt.
Hinter Hammer – auch Skispringer Helmut Wegscheider trug die Fackel – nahm das Feuer seinen Weg über Molberting, Vogling, Neukirchen, Oberteisendorf und erreichte über das Surtal schließlich Traunstein. Ab 0.55 Uhr trugen es Traunsteiner Sportler bis zum Siegsdorfer Schwimmbad, dort übernahmen zwei Siegsdorfer, dann waren wieder zwei Skifahrer vom Skiclub Traunstein an der Reihe.
Auf dem Karl-Theodor-Platz unterhielt man sich schon seit 19 Uhr mit ca. 4 000 Zuschauern bei einem oberbayerischen Abend mit Blasmusik, Gesangs- und Trachtengruppen. Natürlich durfte der Traunsteiner Schwertertanz nicht fehlen. Ganz Traunstein feierte die „Nacht der Nächte“ (Traunsteiner Wochenblatt) bis 3 Uhr morgens. Auf diesen Zeitpunkt hatte der Stadtrat vorausschauend die Sperrstunde verlegt.
Die Stimmung konnte auch ein organisatorisches Missgeschick allenfalls vorübergehend trüben: Die Holzreste der alten Bürgerwaldschanze, die aus Altersgründen gesprengt worden war, sollten auf dem Hochberg als Material für ein Freudenfeuer ihre letzte Bestimmung finden. Bei einer Probezündung loderten die Flammen jedoch gleich hoch empor und waren nicht mehr zu bändigen; so leuchtete es einige Stunden zu früh über dem Chiemgau. Als die Läufer auf der Blaue-Wand-Straße nach Siegsdorf unterwegs waren, glimmte nur noch ein kläglicher Rest.
Dafür strahlten helle Feuer von Hochfelln und Dürrnbachhorn, und so erreichte der Tross um kurz vor 3 Uhr Ruhpolding und gegen 4.40 Uhr Reit im Winkl. Dabei reiste die olympische Flamme durch das Drei-Seen-Gebiet noch einmal auf dem Fahrrad des Traunsteiner Radsportlers Ludwig van Gorkom. Über den Masererpass ging es dann durchs Achental bis Rottau, wo als letzter Fackelträger der Altenmarkter Max Fontana gegen 7 Uhr morgens das Feuer an den ersten Läufer des Rosenheimer Distrikts übergab.
Damit endete eins der größten Sportereignisse im südostbayerischen Winkel. Die unglaubliche Begeisterung der Bevölkerung zeigte sich in der gewaltigen Zuschauerzahl von weit mehr als 100 000 Menschen, gesteigert noch einmal durch die Reichweite des jungen Farbfernsehens.
Bei dem Vortrag im Hofbräustüberl ließen Zeitzeugen aus dem Publikum die Tatsachen lebendig werden: Sechs Fackelträger und ein Begleitläufer wurden mit Beifall begrüßt; sie tauschten Erinnerungen aus und schwärmten von der damaligen Stimmung, die alle mitriss. Die ehemalige Startläuferin Renate Dierl erregte mit ihrer Original-Fackel allgemeine Bewunderung. Schließlich versammelten sie sich noch zu einem Foto „50 Jahre danach“.
[/pb_text][/pb_column][/pb_row]Hans Helmberger mit einer der Originalfackeln von 1972
Ganz unten im Schrank fand Hans Helmberger auch noch sein Lauftrikot, das er als Begleitläufer trug.
Die Fackelläuferin und die -läufer, die am Vortragsabend mit dabei waren. Von links: Renate Schnepf (geb. Dierl), Hans Hofmann, Hans Reiter, Hans Helmberger (Referent, kein Fackelträger), Heinz Weiß, Walter Breitling, Werner Roloff